Wie Deutschland Desinformationen strategisch kontern und zukunftsfähig werden kann Wie Deutschland Desinformationen strategisch kontern und zukunftsfähig werden kann
„Große Teile der Desinformationskampagnen finden im digitalen Raum statt, ein Raum, den besonders junge Generationen intensiv nutzen.“
Desinformation bedroht die Resilienz demokratischer Gesellschaften. Autokratien wie Russland und China nutzen soziale Medien gezielt, um insbesondere junge Menschen zu beeinflussen. Deutschland ist als offene und technologisierte Gesellschaft verwundbar, kann aber auch aus Erfahrungen anderer Staaten lernen. Eine wehrhafte Demokratie erfordert den Aufbau von Faktencheck-Infrastrukturen nach taiwanesischem Vorbild und Stärkung von Medienkompetenz. Entscheidend ist dabei ein Bewusstsein dafür, dass es nicht nur um manipulative Inhalte geht, sondern vor allem um deren strategische Amplifikation über Social Media und alternative Medienkanäle. Der Fokus darf nicht allein auf der Richtigstellung falscher Informationen liegen, sondern muss die systematische Manipulation unserer Informationsräume durch hocheffektive Distributionsstrategien und kognitive Kriegsführung verstehen und bekämpfen. Nur so bleibt die Demokratie zukunfts- und widerstandsfähig.
Autor:innen
Vianne Uhl: Co Leiterin der AG Demokratie der JDGAP, Gründerin und Vorsitzende der Transatlantic Student Initiative e.V. (TSI), Studentin der Friedens- und Konfliktforschung an der Goethe Universität und TU Darmstadt, Autorin für mitmischen.de des Deutschen Bundestages.
Florian Friedrich Schulz: Co Leiter der AG Demokratie der JDGAP, Co-Regionalleiter des Regionalforums Sachsen der JDGAP, Student der Rechtswissenschaften an der Universität Leipzig, Student der Wirtschaftswissenschaften an der FernUniversität Haagen, Studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Arbeits-und Sozialrecht von Professor Burkhard Boemke.

Wehrhafte Demokratie im digitalen Zeitalter
Desinformation stellt eine wachsende Bedrohung für die Resilienz demokratischer Gesellschaften dar. Autokratische Akteure wie Russland und China nutzen gezielte Kampagnen, um Polarisierung zu verstärken, Vertrauen in Institutionen zu untergraben und demokratische Prozesse zu destabilisieren. Über soziale Medien wie TikTok sind besonders junge Menschen anfällig für diese Einflüsse. Hier wird die polarisierte Wahrnehmung über Aktivitäten autoritärer Regime besonders deutlich.
Deutschland ist als offene, technologisierte Gesellschaft verwundbar. Um die Demokratie zukunftsfähig zu gestalten, muss Desinformation als sicherheitspolitische Herausforderung übergreifend anerkannt werden. Dabei ist entscheidend zu verstehen, dass es nicht nur um manipulative Inhalte geht, sondern vor allem um deren strategische Amplifikation über Social Media und alternative Medienkanäle. Die systematische Manipulation unserer Informationsräume durch hocheffektive Distributionsstrategien und kognitive Kriegsführung erfordert eine ganzheitliche Antwort.
Das Konzept der wehrhaften Demokratie bietet hier den rechtlichen und normativen Rahmen für die folgenden Handlungsempfehlungen, die eine zweigleisige Strategie umfassen:
1. Aufbau unabhängiger, zivilgesellschaftlicher Faktencheck-Infrastrukturen nach taiwanesischem Vorbild (z.B. Cofacts).
2. Systematische Stärkung von Medienkompetenz in Schulen sowie die Einbindung von Influencer:innen Aufklärungsinitiativen.
Nur durch die Kombination aus technischen Kompetenzen und gesellschaftlicher Aufklärung kann eine widerstandsfähige, demokratische Öffentlichkeit langfristig geschaffen werden.
Wie gezielte Desinformation demokratische Strukturen angreift
Das „Brexit“-Votum 2016 war eine Zäsur: Ein demokratisches Referendum soll laut Untersuchungen durch gezielte Desinformationskampagnen manipuliert worden sein.1 Seither konnten wir dies auch bei den US-Präsidentschaftswahlen 2016, der Corona-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine beobachten. Die Desinformation hat zu Polarisierung in der Gesellschaft geführt und Personen waren bereit, demokratische Grundsätze für andere Interessen zu opfern. Das Ziel, Demokratien von innen heraus zu schwächen, muss verhindert werden. Dies sollte die aktuelle Bundesregierung als zentrale Herausforderung anerkennen.
Ein polarisierendes Instrument autoritärer Staaten
Desinformation unterscheidet sich dabei von Fehlinformationen oder Zeitungsenten, indem sie darauf abzielt, die Zielgruppe absichtlich zu täuschen oder Schaden anzurichten.2 Entscheidend ist jedoch zu verstehen, dass moderne Desinformation nicht nur durch manipulative Inhalte wirkt, sondern vor allem durch strategische Amplifikation und gezielte Distributionsstrategien.3 Das Ziel von autokratischen Akteuren ist hierbei, demokratische Gesellschaften systematisch zu schwächen – nicht nur durch falsche Informationen, sondern durch die systematische Manipulation unserer Informationsräume mittels hocheffektiver Verbreitungsmechanismen und kognitiver Kriegsführung. Dabei wird im In- und Ausland Desinformation instrumentalisiert, um negative Emotionen und das Gefühl von Misstrauen innerhalb einer Gesellschaft zu schüren. Dies führt zu einer Polarisierung der Gesellschaft, was es leichter macht, staatliche Propaganda zu verbreiten, die Opposition zu diskreditieren und Unterstützung für politische Maßnahmen zu gewinnen Dadurch steigt die Bereitschaft, demokratische Prinzipien zugunsten bestimmter Ziele aufzugeben.4
Im Kontext hybrider Bedrohungen nutzen autoritäre Staaten gezielt das Werkzeug der Desinformation, um Polarisierung zu schaffen und dadurch demokratische Gesellschaften zu destabilisieren. Diese Entwicklung schwächt das Vertrauen in Institutionen und untergräbt langfristig die demokratische Ordnung. Nach dem V-Dem (2025)5 verbreitet die Hälfte aller autokratischen Regierungen zunehmend Desinformationen. Die Polarisierung nimmt in einem Viertel aller Länder weltweit zu und erreicht ein schädliches Ausmaß. Diese beiden Entwicklungen verstärken sich gegenseitig und fördern besonders eins: Autokratisierung.
Über Social Media und alternative Medienkanäle werden diese manipulativen Botschaften strategisch verstärkt und in bestimmte Zielgruppen eingeschleust, wie man sehr klar anhand der Analyse der orchestrierten Kampagne gegen Frau Brosius Gersdorf sehen konnte.6
Wahrhaftig wehrhaft und Wahrung der Balance
Die Umsetzung der Gesamtverteidigung Deutschlands sowie die Abwehr von hybrider Kriegsführung einerseits und die Wahrung der Meinungsfreiheit andererseits können sich als Balanceakt erweisen. So muss die Regulierung von Desinformation stets verhältnismäßig erfolgen und darf nicht selbst zur Gefahr für ein demokratisches Grundprinzip wie die freie Meinungsäußerung werden. An dieser Stelle sollte das Prinzip der wehrhaften Demokratie greifen, welches die Einschränkung bestimmter demokratischer Freiheiten vorsieht, um eben diese vor Missbrauch zu schützen.
Im 21. Jahrhundert bedeutet wehrhafte Demokratie auch Resilienz gegenüber Desinformation. Angesichts zunehmender geopolitischer Spannungen und dem Zuwachs an autokratischen Staaten weltweit, muss Deutschland Desinformation als sicherheitspolitischer Herausforderung strategisch begegnen, um seine demokratische Zukunftsfähigkeit zu sichern.
Wer (des)informiert hier wen?
Besonders Russland nutzt Desinformation systematisch zur geopolitischen Destabilisierung – nach dem V-Dem sogar am effektivsten.7 Dabei setz Russland nicht nur auf falsche Inhalte, sondern auf ausgereifte Amplifikationsstrategien über Bots, Trollfarmen und die gezielte Manipulation von Algorithmen sozialer Medien – Strategien die sich unter dem Begriff Engineered Collective Mobilization zusammenfassen lassen. 8 Auch China spielt in diesem Bereich eine aktive Rolle, wenn auch eine differenziertere. Die Volksrepublik passt ihre Strategien an die jeweiligen Länder und Regionen an. Durch wirtschaftliche Beziehungen zu Deutschland setzt die Führung in Peking auf enge Verflechtungen zu Entscheidungstragenden an. Offene Desinformationskampagnen würden dementsprechend diese Beziehungen eher gefährden. Nichtsdestotrotz reproduziert China Kreml-Narrative in den eigenen Medien und setzt Propaganda gegen Deutschland ein. In Taiwan hingegen setzt es auf langfristige Desinformationskampagnen, mit dem Ziel, den Inselstaat einzugliedern. Diese Methoden – oft in enger Kooperation mit Russland – zeigen, wozu China fähig ist. Deutschland kann aus dem Beispiel Taiwan Lehren ziehen und strategisch und technologisch anknüpfen, um seine Zukunftsfähigkeit gegenüber autokratischen Akteuren zu verteidigen.
Wie gezielte Kampagnen demokratische Resilienz untergraben
Chinas Propagandafähigkeiten in Deutschland
China betreibt in Deutschland bisher keine offenen Desinformationskampagnen, nimmt jedoch bereits gezielt Einfluss auf die öffentliche Meinung durch Propaganda. Die chinesische Propagandastrategie in Deutschland basiert dabei auf drei Säulen. Erstens investiert China in den Aufbau eigener Auslandsmedien und in Kooperationen mit westlichen Medien. Zweitens nutzt es bestehende Strukturen, um seine Botschaften glaubwürdig wirken zu lassen. Drittens setzt es auf Social Media und alternative Medienkanäle, um insbesondere junge Zielgruppen zu erreichen und deren Informationsräume strategisch zu manipulieren. Dabei agiert China strategisch um ein positives Image zu fördern und kritische Stimmen zu schwächen.
Diesen Einfluss kann man breit in Deutschland sehen. So wurde bekannt, dass die Berliner Zeitung Inhalte chinesischer Quellen veröffentlichte, ohne sie redaktionell zu prüfen.9 Beim Sachsen-Fernsehen zahlten chinesische Stellen für die Ausstrahlung von Beiträgen, die von chinesischen Staatsmedien produziert worden waren.10 Hierbei handelte es sich um fertige Inhalte mit klar prochinesischer Ausrichtung. Auch etabliertere Medienhäuser sind hiervon nicht ausgenommen. Der Norddeutsche Rundfunk (NDR) produzierte gemeinsam mit dem chinesischen Auslandssender China Global Television Network (CGTN) Beiträge, in denen China in positivem Licht dargestellt wurde.11 Zeitungen wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung und das Handelsblatt veröffentlichten Beilagen, die von chinesischen Institutionen finanziert und inhaltlich gestaltet wurden. 12 Diese Inhalte erschienen im redaktionellen Umfeld, ohne dass ihre Herkunft immer deutlich gekennzeichnet war.13 Für das Publikum ist oft nicht erkennbar, dass die Inhalte bewusst aus staatlich kontrollierten chinesischen Quellen verbreitet werden. Dadurch entsteht der Eindruck von Objektivität, obwohl gezielte Narrative verbreitet werden.
Die zweite Säule wird in Deutschland immer zentraler. Es ist ein wichtiges Werkzeug, um westliche Narrative zu verdrängen und um gezielt China-freundliche Inhalte zu verbreiten. Influencer:innen wie der deutsche YouTuber MrWissen2go wurden von chinesischen PR-Agenturen kontaktiert. Auch ausländische Studierende und Content-Creators arbeiten mit chinesischen Staatsmedien zusammen.14 In sensiblen Themenfeldern wie den Menschenrechtsverletzungen an Uiguren15 oder der Lage in Tibet versucht China, über soziale Medien westliche Narrative zu verdrängen.16 Dabei geraten sogar deutsche Politiktriebende in die Kritik, wenn sie ungeprüft Positionen aus Peking übernehmen.17
Ein weiterer strategischer Fokus liegt auf der direkten Ansprache von Führungspersonen in Politik und Wirtschaft. China sucht aktiv den Dialog mit Entscheidungstragenden um seine Interessen auf der Ebene politischer und wirtschaftlicher Eliten zu verankern und langfristig Einfluss zu sichern.
Internationale Lehren: Taiwan
Am Beispiel Taiwan wird deutlich, dass China seine ausgeprägten Propagandafähigkeiten nicht nur zur Verbesserung seines Images einsetzt, sondern dieselben Mittel auch gezielt verwendet, um durch vorsätzliche Verbreitung von Falschinformationen die Gesellschaft zu polarisieren und zu destabilisieren. Dies zeigt, dass China woanders bereits über Propaganda hinaus agiert und Desinformation als Instrument hybrider Kriegsführung und kognitiver Manipulation nutzt. Der Bericht des taiwanesischen National Security Bureau (NSB) aus dem Jahr 2024 liefert detaillierte Einblicke in die Methoden und Kanäle dieser Desinformationskampagnen und hebt insbesondere den zunehmenden Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) zur strategischen Amplifikation hervor.
Laut dem Bericht konzentrierten sich die Kampagnen 2024 vor allem auf die Verbreitung von Misstrauen gegenüber der militärischen und politischen Unterstützung Taiwans durch die Vereinigten Staaten, auf Angriffe gegen die taiwanesischen Streitkräfte sowie auf gezielte Falschinformationen über Präsident Lai Ching-te. Ziel dieser Kampagnen ist es, das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu schwächen und gesellschaftliche Spaltungen zu vertiefen.
Ein zentrales Ergebnis des Berichts ist die Bedeutung sozialer Medien als Hauptverbreitungsweg und Amplifikationsplattform. Facebook stellte mit mehr als 900.000 identifizierten Desinformationsbeiträgen die wichtigste Plattform für gezielte Einflussnahme durch chinesische Akteure dar. 18 Auffällig ist jedoch der starke Zuwachs alternativer digitaler Kanäle. Im Vergleich zu 2023 stieg das Gesamtvolumen der Inhalte von Desinformation um 40 Prozent. 19 Das exponentielle Wachstum zeigte sich vor allem auf Videoplattformen, Internetforen und der Plattform X (ehemals Twitter). Diese Entwicklung wird im Bericht als Hinweis gewertet, dass sich die Kampagnen zunehmend auf die jüngere Generation konzentrieren.
Dabei spielt künstliche Intelligenz eine Schlüsselrolle bei der strategischen Manipulation der Informationsräume. Sie ermöglicht die automatisierte Generierung großer Mengen an Inhalten, die in Stil, Ton und Format gezielt auf unterschiedliche Nutzendengruppen zugeschnitten sind. Gleichzeitig wird KI für die massenhafte Verbreitung von Beiträgen sowie für das gezielte Bespielen von Kommentarspalten, Forenbeiträgen und Social-Media-Threads eingesetzt. Auch der Gebrauch synthetischer Inhalte wie Deepfakes und manipulierten Bildern stellt eine wachsende Herausforderung für die demokratische Öffentlichkeit dar.20
Chinesischer Einfluss schon heute bei jungen Menschen sichtbar
Das Beispiel Taiwan zeigt deutlich, dass China seine Desinformationskampagnen gezielt auf junge Menschen ausrichtet. Diese Strategie sollte auch in Deutschland Alarm auslösen – denn bereits jetzt entfalten chinesische Propagandamaßnahmen hierzulande spürbare Wirkung bei der jungen Bevölkerung. Eine von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Auftrag gegebene Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach verdeutlicht, dass insbesondere junge Menschen in Deutschland deutlich anfälliger für Desinformation und gezielte Propaganda sind.21 Nur 42 Prozent der unter 29-Jährigen glauben, dass Russland gezielt Desinformationen streut. Im Fall Chinas ist die Skepsis noch ausgeprägter: Über 50 Prozent dieser Altersgruppe bezweifeln, dass die Volksrepublik aktiv Desinformation verbreitet. Besonders gravierend sind die Ergebnisse unter Nutzenden der Plattform TikTok. Hier zweifeln 50 Prozent an der gezielten Desinformationsverbreitung durch Russland, 59 Prozent an einer solchen Strategie durch China. 22 Dies deutet auf eine erhebliche Wahrnehmungslücke bei jenen hin, die soziale Medien als primäre Informationsquelle nutzen. Besonders deutlich wird der Einfluss chinesischer Narrative bei der Einschätzung der politischen Leistungsfähigkeit: Fast 30 Prozent der Deutschen halten das chinesische Regierungssystem für „effizienter und erfolgreicher“ als westliche Demokratien – unter TikTok-Nutzenden steigt dieser Anteil auf 42 Prozent.
Deutschland als Ziel chinesischer Kampagnen
Die oben dargestellten Befunde machen deutlich, dass China bereits heute erheblichen Einfluss auf die Meinungsbildung junger Menschen in Deutschland ausübt. Derzeit konzentrieren sich diese Einflussversuche vor allem darauf, das öffentliche Bild der Volksrepublik China in Deutschland zu verbessern und Kritik an ihrem politischen System abzuschwächen – das kann bald kippen. Das Beispiel Taiwans zeigt eindrücklich, dass China dieses Potenzial auch dazu nutzt, gezielt demokratische Strukturen zu untergraben und gesellschaftliche Spaltungen zu vertiefen.
Dabei greift die Volksrepublik China auch in Europa zunehmend zu aggressiveren Methoden, um ihre politischen Interessen durchzusetzen. Am Beispiel Schwedens, Litauens und Tschechiens wird deutlich, dass Peking verstärkt auf wirtschaftliche Erpressung und politischen Druck zurückgreift, wenn Staaten Chinas „rote Linien“ überschreiten. Diese Entwicklung markiert einen klaren Wandel von subtiler Einflussnahme hin zu offenem Zwang.23 Auch das Europäische Parlament warnt im Vorfeld der Europawahlen vor gezielten Versuchen Chinas, Einfluss auf demokratische Prozesse in Europa zu nehmen.24
Sollte sich Chinas aggressiver Kurs weiter intensivieren, ist die deutsche Demokratie bisher nur begrenzt widerstandsfähig gegen Desinformationskampagnen. Das politische und gesellschaftliche System ist aktuell unzureichend vorbereitet, da Medienkompetenz im schulischen Kontext häufig zu wenig gefördert wird, der Zugang zu verlässlichen, faktenbasierten Informationsquellen nicht systematisch gestärkt wird und zielgruppengerechte Faktencheck-Angebote für junge Menschen kaum sichtbar sind. Zudem fehlt es bislang an einer breiten zivilgesellschaftlichen Infrastruktur, die sich kontinuierlich und professionell mit Faktenprüfung beschäftigt, sowie an einem tieferen Verständnis für die systematische Manipulation von Informationsräumen durch hocheffektive Distributionsstrategien.
Für das strategische Bewusstsein in Deutschland ist daher das Kontern von Desinformation eine zentrale Herausforderung und junge Stimmen leisten hier einen entscheidenden Beitrag. Denn große Teile der Desinformationskampagnen finden im digitalen Raum statt, ein Raum, den besonders die junge Generation intensiv nutzt. Die Zukunftsfähigkeit der deutschen Demokratie hängt daher essenziell davon ab, in diesem Raum mögliche Desinformationen erkennen und dementsprechend demokratiesichernd handeln zu können. Daher muss Desinformation einerseits im großen Kontext der hybriden Kriegsführung und Gesamtverteidigung des Landes gedacht werden und andererseits auch im engen persönlichen Umfeld der Zielpersonen.
Kampagnen autokratischer Staaten mit zweigliederiger Gegenstrategie kontern
Angesicht dieser zunehmenden Bedrohungslage sollte die Bundesregierung eine zweigleisige Strategie verfolgen die sich auf Debunking – die Korrektur von Fehlinformationen – und Pre-Bunking –sprich Prävention – konzentriert. 25 Dabei ist entscheidend zu verstehen, dass beide Ansätze nicht nur die Inhalte selbst, sondern auch die strategischen Amplifikationsmechanismen und die systematische Manipulation von Informationsräumen berücksichtigen müssen.
- Debunking
Als erstes ist es essenziell, gesellschaftliche Projekte zu fördern, die sich mit Faktenprüfung und dem Erkennen manipulativer Medieninhalte befassen. Ein zentrales Element im Kampf gegen Desinformation in Taiwan ist die schnelle und transparente Richtigstellung von Falschinformationen. Dabei ist eine zeitnahe Klarstellung wichtig. 26 Damit dies gelingt, braucht es zwei ineinandergreifende Systeme: ein effektives Erkennungssystem, das virale Falschmeldungen frühzeitig identifiziert, und eine aktive Zivilgesellschaft, die bei der Verbreitung der Richtigstellung unterstützt. Daher empfiehlt sich der Aufbau einer unabhängigen, zivilgesellschaftlich getragenen Faktencheck-Infrastruktur. Als Vorbild dient hier die taiwanesische Plattform „Cofacts,“ die wie ein Wikipedia für Faktenprüfung funktioniert. Nutzende können dort fragwürdige Informationen über den verschlüsselten Nachrichtendienst „LINE“ einreichen. Diese Beiträge werden in eine öffentlich zugängliche Datenbank aufgenommen, die von Freiwilligen und professionellen Faktenprüfenden – etwa dem Taiwan Fact Check Center – gemeinsam gepflegt wird. 27 Ein KI-basiertes Sprachmodell liefert auf Basis früherer Fälle automatisierte Einschätzungen und kann frühzeitig auf bekannte Desinformationsmuster reagieren. Dieser Crowdsourcing-Ansatz erlaubt nicht nur eine breite Beteiligung, sondern hilft auch, relevante Desinformationstrends frühzeitig zu erkennen. Für Deutschland wäre der Aufbau einer vergleichbaren Plattform – die unabhängig von staatlicher Steuerung, aber mit öffentlicher Förderung funktioniert– ein bedeutender Schritt zur Stärkung der gesellschaftlichen Resilienz. Dabei ist eine Etablierung auf europäischer Ebene stets mitzudenken und kann eine wahrhaftig europäische Lösung darstellen.
- Pre-Bunking
Für das Pre-Bunking sollte im Rahmen der Schulen die Medienkompetenz von jungen Menschen gestärkt werden. Dazu gehört ein kritischer Umgang mit Informationen. Schülerinnen und Schüler müssen lernen, Inhalte einzuordnen, Quellen zu überprüfen und manipulative Kommunikationsstrategien zu erkennen. Auch der reflektierte Umgang mit KI und automatisierten Inhalten sollte thematisiert werden. Ein verpflichtendes Modul zu digitaler Informationskompetenz ab Sekundarstufe I ist daher unerlässlich. Auch die Integration von Quellenkritik, Fact-Checking und Desinformationsmechanismen muss in bestehende Fächer integriert werden, insbesondere durch Fortbildung von Lehrpersonal. Durch den starken Aufschwung von KI ist ihre aktive Nutzung in Schulen, um selber zu erfahren, wie Inhalte generiert werden können, unerlässlich. Nur in Kombination kann so langfristig eine aufgeklärte Öffentlichkeit entstehen, die gegenüber Desinformation widerstandsfähig ist.
Influencende sollten als Meinungsbildende aktiv in Aufklärungskampagnen einbezogen werden.28 Öffentlichkeitsarbeit muss junge Zielgruppen dort erreichen, wo Desinformation wirkt: in sozialen Medien.
Auch die breite Öffentlichkeit muss ein stärkeres Bewusstsein für die Wirkmechanismen digitaler Meinungsbildung entwickeln – dies erfordert gesellschaftliche Aufklärung und gezielte Kommunikation. Dabei können zivilgesellschaftliche Akteure eine wichtige Rolle spielen und sollten durch langfristige Finanzierung unterstützt werden.
Fazit:
Die Zukunftsfähigkeit der deutschen Demokratie hängt entscheidend von ihrer Widerstandsfähigkeit gegen Desinformation ab. Nur ein ganzheitlicher Ansatz – technisch, gesellschaftlich, bildungspolitisch – der sowohl manipulative Inhalte als auch deren strategische Amplifikation und die systematische Beeinflussung von Informationsräumen berücksichtigt, kann Polarisierung entgegenwirken. Ziel sollte es sein, eine aufgeklärte Öffentlichkeit zu gestalten, die manipulative Inhalte erkennt, ihnen widersteht und aktiv zur Verteidigung der Demokratie beiträgt.
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