MENA als Schlüsselraum deutscher Klimaaußenpolitik
“Die Anfälligkeit für den Klimawandel und staatliche Fragilität wirken wechselseitig verstärkend. Damit wird der Klimawandel zu einem zentralen Risiko-Multiplikator für Instabilität.”
Die deutsche Außenpolitik in der MENA-Region steht vor einer Bewährungsprobe. Zwischen hohen Ansprüchen einerseits und Zielkonflikten in der Praxis andererseits drohen Nachhaltigkeit und Menschenrechte hinter andere Interessen zurückzufallen. Dies befeuert politische Instabilitäten und schafft neue Risiken. Dabei liegt gerade in der MENA-Region ein großes Potenzial, Klima- und Sicherheitspolitik strategisch zu verbinden.
Autor:innen
Raze Baziani – Co-Leiterin AG MENA der Jungen DGAP, Referentin im Europäischen Parlament
Fabio Kopanski – AG Klima, Advisor in der Stiftung Klimaneutralität
Mattis Körber – Co-Leiter AG MENA der Jungen DGAP

Worum es geht
Klimarisiken als geopolitische Realität in der MENA-Region
MENA (Middle East and North Africa) steht wie kaum eine andere Region exemplarisch für die Folgen der Klimakrise. Kaum eine Weltregion erwärmt sich schneller, kaum eine ist so stark von Wasserknappheit, Bodendegradation und Hitzewellen betroffen. Zwölf der siebzehn wasserärmsten Länder der Welt liegen in der Region; 82 % ihrer Fläche sind Wüste; der Tigris transportiert heute nur noch rund 60 % seines früheren Wasservolumens. Über die Hälfte der Bevölkerung Jordaniens ist von Ernährungsunsicherheit betroffen und im Jemen benötigen 80 % der Menschen humanitäre Hilfe. Die Auswirkungen des Klimawandels greifen dabei tief in bestehende sozioökonomische und politische Spannungsfelder ein: Wasserknappheit, Bodendegradation und Hitzewellen verschärfen Ressourcenverteilungskonflikte, untergraben staatlichen Strukturen und verstärken soziale Ungleichheit.
Die Anfälligkeit für den Klimawandel und staatliche Fragilität wirken wechselseitig verstärkend. Damit wird der Klimawandel zu einem zentralen Risiko-Multiplikator für Instabilität. Bereits heute tragen klimabedingte Belastungen zur Erosion staatlicher Autorität bei, verstärken innergesellschaftliche Spannungen und lösen Migrationsbewegungen aus. Für die deutsche Außenpolitik folgt daraus: Die klimabedingten Dynamiken in der MENA-Region dürfen nicht als entwicklungspolitisches Randthema betrachtet werden. Sie sind eine sicherheitspolitische Herausforderung mit unmittelbarer Relevanz für deutsche und europäische Interessen. Eine Außenpolitik, die diesen Anspruch ernst nimmt, muss Klima-, Sicherheits-, Entwicklungs- und Außenpolitik operativ verzahnen. Die MENA-Region wird damit zum Prüfstein für die strategische Handlungsfähigkeit: Gelingt es, Prinzipien wie Nachhaltigkeit, Resilienz und menschenrechtsbasierte Zusammenarbeit nicht nur rhetorisch zu bekräftigen, sondern in autoritär geprägten, konfliktanfälligen Kontexten effektiv umzusetzen?
Derzeit fällt die Bilanz eher ernüchternd aus. Trotz teilweise ambitionierter Leitlinien dominiert in der Praxis häufig eine fragmentierte Politik, die oft kurzfristige Interessen priorisiert, etwa durch Kooperationen mit Autokratien ohne transparente politische Konditionalität. Es fehlt an einer kohärenten Umsetzung einer strategischen Klimaaußenpolitik, an ressortübergreifender Koordination und nicht zuletzt am Mut, normative Ansprüche auch dort konsequent einzulösen, wo sie unbequem sind.
Was auf dem Spiel steht
Strukturelle Schieflagen und verpasste Synergien
Ein zentrales Defizit deutscher Klimaaußenpolitik in der MENA-Region betrifft die geografische Schwerpunktsetzung. Das bilaterale Engagement ist häufig auf vergleichsweise politisch stabile Länder fokussiert. In besonders fragilen Staaten mit hoher Klimavulnerabilität, etwa dem Libanon, Jemen oder Irak, bleibt deutsches Engagement im Vergleich auf kleine Vorhaben beschränkt, obwohl gerade dort der sicherheitspolitische Hebel besonders groß wäre.
Maßnahmen zur Anpassung an die Klimafolgen, wie klimaresiliente Landwirtschaft, Wasserressourcenmanagement oder Katastrophenvorsorge, bleiben häufig chronisch unterfinanziert. Dabei könnten sie insbesondere in fragilen Kontexten einen stabilisierenden Effekt entfalten. Trotz der erkennbaren Wechselwirkungen zwischen Klimafolgen und sicherheitspolitischen Risiken existiert bislang keine ressortübergreifende Strategie, die Klima-, Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik mit den spezifischen Dynamiken in der MENA-Region systematisch miteinander verknüpft. Die zuständigen Ministerien arbeiten viel parallel, weniger gemeinsam. So bleiben Synergien ungenutzt und Zuständigkeiten zersplittert.
Auch die Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure in den MENA-Ländern wird bislang unzureichend berücksichtigt. Gerade in autoritären Kontexten fehlen Schutzformate, Förderprogramme oder partizipative Strukturen. Dabei sind lokale Initiativen häufig zentrale Träger gesellschaftlicher Resilienz. Sie verfügen über kontextspezifisches Wissen, das technokratischen Regierungsprojekten oft fehlt und sind unerlässlich für die Legitimität und Wirksamkeit klimapolitischer Maßnahmen.
Die Schwächen der Klimaaußenpolitik in der MENA-Region verweisen auf strukturelle Zielkonflikte, die in der derzeitigen Praxis bislang nur unzureichend adressiert werden. Diese Zielkonflikte betreffen sowohl normative Grundsätze als auch die strategischen außen- und sicherheitspolitischen Eigeninteressen Deutschlands. Damit steht die deutsche Klimaaußenpolitik in der MENA-Region vor einem doppelten Legitimationsproblem. Sie muss zeigen, dass sie ihren eigenen normativen Ansprüchen gerecht wird und zugleich sicherstellen, dass ihre Entscheidungen langfristig tragfähig und strategisch konsistent sind.
Ein erster, grundlegender Zielkonflikt verläuft entlang der Linie zwischen wertebasierter Außenpolitik und wirtschaftlichen Interessen. Die Bundesregierung betont regelmäßig ihr Bekenntnis zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten – gerade auch gegenüber autoritär regierten Staaten. Zugleich dominieren in der praktischen Umsetzung oft Kooperationen mit Ländern, die diesen Grundsätzen entgegenstehen. Gasimporte aus Katar oder Algerien sind dafür exemplarisch. In einer Region, in der die politische Teilhabe ohnehin stark eingeschränkt ist, hinterlässt dies den Eindruck, dass wirtschaftlichen Interessen zumindest teilweise Vorrang vor Menschenrechten eingeräumt wird. Lokale zivilgesellschaftliche Akteure sind zudem bei der Zusammenarbeit strukturell unterrepräsentiert. Ihre mangelnde Einbindung führt zu einer entkoppelten, top-down organisierten Klimaaußenpolitik, die in der Praxis häufig an gesellschaftlicher Realität vorbei zielt und anfällig für politische Instrumentalisierung ist. Das steht im Widerspruch zu Werten und schwächt die außenpolitische Glaubwürdigkeit Deutschlands.
Ein weiterer Zielkonflikt betrifft das Verhältnis zwischen langfristiger Klimaneutralität und kurzfristiger Energieversorgungssicherheit. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich die geopolitische Bedeutung von Erdgaslieferanten wie Katar oder den Algerien deutlich erhöht. Statt eine konsequente Reduktions- und Diversifizierungsstrategie zu verfolgen, wurde die Abhängigkeit von Gas geographisch verlagert – teilweise mit langjährigen Abnahmeverträgen. Damit drohen Pfadabhängigkeiten, die mit den eigenen Zielen nachhaltiger Industrie- und Sicherheitspolitik nur schwer vereinbar sind. Die Chance, die Energiekrise als Katalysator für eine strukturelle Transformation zu nutzen, wird vertan.
Auch im Bereich der internationalen Klimafinanzierung stellt sich die Frage nach Wirksamkeit. Deutschland versteht sich als globaler Akteur für Klimagerechtigkeit, als verlässlicher Geber und ist Mitgründer multilateraler Fonds. 2023 stellte die Bundesregierung insgesamt rund 9,5 Milliarden Euro für Klimaschutz und Anpassung bereit. Doch ein großer Teil dieser Mittel bestehen aus rückzahlbaren Krediten und damit Finanzierungsinstrumenten, die gerade für hochverschuldete Staaten kaum zugänglich sind. Hinzu kommt eine deutliche regionale Schieflage: Laut dem „Climate Finance Regional Briefing“ der Heinrich-Böll-Stiftung fließen nur rund 6,6 % der Mittel zentraler Klimafonds wie GCF, CIF oder GEF in die MENA-Region. Fast 80 % dieser ohnehin geringen Mittel gehen an zwei Länder in MENA: Marokko und Ägypten. Staaten mit besonders hoher Klimavulnerabilität, aber geringer Verhandlungsmacht, werden strukturell benachteiligt.
Was auf dem Spiel steht, ist die langfristige Glaubwürdigkeit deutscher Klimaaußenpolitik. Wer strukturelle Ungleichheiten nicht aktiv reduziert, sondern bestehende geopolitische Asymmetrien hinnimmt, riskiert, die sicherheitspolitischen Potenziale nachhaltiger Partnerschaften zu verschenken und zugleich die normative Substanz des eigenen außenpolitischen Anspruchs zu untergraben.
Was zu tun ist
Fünf strategische Handlungsfelder, um das sicherheitspolitische Potenzial klimaorientierter Außenpolitik in der MENA-Region voll auszuschöpfen
I. Klima- und Sicherheitspolitik verzahnen und ressortübergreifend strategisch steuern
Deutschland fehlt bisher eine kohärente, ressortübergreifende und strategisch verfolgte Klimaaußenpolitik für die MENA-Region. Eine „Klimaaußenpolitische Strategie MENA“ sollte als Steuerungsinstrument etabliert werden, unter Einbindung von AA, BMZ, BMUKN, BMWE und BMVg. Sie sollte Risikoanalysen, Frühwarnsysteme, staatliche und zivilgesellschaftliche Kooperationsstrategien und wirtschaftliche Partnerschaften bündeln und so die Klima- und Sicherheitspolitik systematisch verzahnen.
Die 2023 veröffentlichte Nationale Sicherheitsstrategie und die damit in Verbindung entwickelte Klimaaußenpolitikstrategie der Bundesregierung haben jeweils die Wechselwirkungen der zentralen Handlungsfelder von Sicherheit und Klima integriert. Bei der bereits angekündigten Überarbeitung innerhalb der neuen Legislatur sollten diese strategischen Verknüpfungen erweitert werden. Bereits etablierte Instrumente wie u.a. der „Climate Security Mechanism“ der VN oder die „Climate for Peace Initiative“ im Rahmen der G7 bieten die Grundlage für eine konsequente Verschränkung von deutscher Klima- und Sicherheitspolitik. Dieser Ansatz sollte auch beim neuen Nationalen Sicherheitsrat verfolgt werden und von Anfang an politische Expertise aus den entsprechenden Ressorts beteiligen. Dass Klimapolitik im Rahmen des Nationalen Sicherheitsrats bislang nicht systematisch berücksichtigt wird, verdeutlicht eine strategische Lücke: Die Wechselwirkungen zwischen Klimafolgen und Sicherheit – unter anderem in der Klimarisiko-Einschätzung von BND, Metis, PIK und adelphi hervorgehoben – finden hier keinen Eingang in die nationale Sicherheitspolitik. Damit bleibt ein wesentliches Risikofeld unzureichend adressiert.
II. Klimaanpassungsfinanzierung in fragilen Kontexten erhöhen und Minderungsstrategien stärken
Trotz eines Anstiegs bleibt die Finanzierung für Klimaanpassung deutlich hinter dem Bedarf zurück. Laut „UNEP Adaptation Gap Report“ 2024 beträgt die globale Anpassungsfinanzierungslücke 187 bis 359 Milliarden Dollar jährlich. Selbst wenn das Ziel des „Glasgow Climate Pact“, die Finanzmittel bis 2025 zu verdoppeln, erreicht würde, könnte damit nur geringer Teil der tatsächlichen Lücke geschlossen werden – ein Defizit, das besonders fragile und klimatisch hochbelastete Länder wie beispielsweise den Sudan oder Libyen massiv trifft. In diesen Kontexten drohen zunehmende Wasserknappheit, Hitzewellen und Ernteverluste, ganze Lebensgrundlagen zu zerstören, wenn nicht rasch in klimaresiliente Landwirtschaft, robuste Wassersysteme und angepasste Infrastrukturen investiert wird.
Deutschland sollte deshalb den Anteil seiner Klimafinanzierung für Anpassung deutlich erhöhen und neue gezielte Programme auflegen, die gerade auch unterversorgte und instabile Staaten und Regionen erreichen. Zusätzlich braucht es mehr Engagement auf multilateraler Ebene: Deutschlands Einfluss in internationalen Klimafonds wie dem „Green Climate Fund“ sollte genutzt werden, um mehr Mittel für MENA zu mobilisieren, die Verfahren für fragile Staaten zu vereinfachen und gezielt Kapazitätsaufbau („Readiness Support“) zu fördern.
Dies ist entscheidend, da viele Länder, insbesondere mit schwacher Verwaltung oder in Konfliktsituationen, oder in ihnen separierte und benachteiligte Minderheiten nicht über die institutionellen und technischen Kapazitäten verfügen, um überhaupt Zugang zu Klimafonds zu erhalten. Es braucht gezielte Unterstützung beim Aufbau nationaler Implementierungsstellen, bei der Entwicklung robuster Projektanträge sowie bei Monitoring- und Transparenzstandards. Ohne diese vorbereitende Unterstützung geht die Klimafinanzierung oft an genau den Menschen und Staaten vorbei, die sie am dringendsten benötigen und verliert so ihre stabilisierende Wirkung.
Gleichzeitig sollte Deutschland aber insbesondere gegenüber den Hauptexporteuren fossiler Energien in der Region bestehende Maßnahmen und Ziele zur Klimawandelminderung im Sinne des Pariser Abkommens stärken und sämtliche Anpassungsstrategien entlang der international vereinbarten Ziele zur Klimawandelbegrenzung ausrichten, um Zielkonflikte zu vermeiden.
III. Energiezusammenarbeit ausbauen zu Klimatransformationspartnerschaften mit Fokus auf Resilienz, Nachhaltigkeit und Sicherheit
Damit Energiezusammenarbeit nicht bloß technologische Export- und Energieimportprojekte, sondern Stabilitätspartnerschaften werden, müssen sie an klare soziale und ökologische Nachhaltigkeitskriterien gebunden sein: lokale Wertschöpfung, regionale Dekarbonisierung und Versorgungssicherheit, menschenrechtliche Standards, zivilgesellschaftliche Beteiligungen, Beschäftigungseffekte und transparente Investitionsbedingungen. Instrumente der Außenwirtschaftsförderung wie Exportkreditgarantien für die Beteiligung deutscher Unternehmen an grünen Energieprojekten sollten nur vergeben werden, wenn neben THG-Grenzwerten auch diese Kriterien erfüllt sind.
Einen Fokus auf Klimaanpassung sollte Deutschland auch in bestehenden multilateralen Energieforen und -initiativen verstärkt einbringen. Der „MENA-Europe Future Energy Dialogue“ ist eine dafür besonders geeignete Plattform. Aber auch in traditionell fossil-geprägten Foren wie dem „EastMed Gas Forum“ bestehen Einflussräume, die genutzt werden sollten. Auch ein explizites Forum zur Klimafolgenanpassung in der MENA-Region unter Beteiligung Deutschlands wäre geboten. Zudem sollte Deutschland eine strategische Führungsrolle in der Koordination der energiewirtschaftlichen Verzahnung mit der MENA-Region übernehmen und regionale Integration von Infrastrukturen sowie Interkonnektoren gezielt unterstützen, um den Ausbau erneuerbarer Energien systemisch zu fördern. Dabei sollten Nachhaltigkeit und Resilienz ebenso im Fokus stehen wie der Anschluss chronisch unterversorgter Regionen.
IV. Lokale Klima-Governance und zivilgesellschaftliche Partizipation in der Klimatransformation fördern
Laut Daten von Freedom House (2024) gelten 13 von 19 MENA-Staaten als „nicht frei“. Demokratische Teilhabe ist jedoch zentral, um gesellschaftliche Legitimität und Wirksamkeit klimapolitischer Maßnahmen zu sichern – insbesondere angesichts autoritärer Strukturen und gesellschaftlicher Spannungen.
Deutschland sollte daher gezielt zivilgesellschaftliche Akteure im Umwelt- und Energiesektor stärken, durch Mikroförderprogramme, kommunale Klimanetzwerke, Bildungsformate und insbesondere durch Schutzprogramme – beispielsweise für bedrohte Umweltaktivist*innen. Die Rückverlagerung der Klimazuständigkeit vom BMWE zum BMUKN bietet hier eine Chance, zivilgesellschaftliche Kooperationen aus dem BMUKN systematisch zu verfolgen. So lassen sich nach Außen institutionelle Rollenkonflikte vermeiden, die entstehen, wenn ein und dasselbe Ressort sowohl Partnerschaften mit Regierungen als auch Programme zum Schutz von zivilgesellschaftlichem Widerstand in eben diesen Staaten verantwortet. Auch partizipative Dialogformate mit Jugendinitiativen, Wissenschaft und Kultur können dazu beitragen, kooperative Klima-Narrative jenseits der dominanten Risikodiskurse zu stärken.
Durch den weltweiten klima- und entwicklungspolitischen Rückzug der USA, für den der Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen und die vollständige Schließung von USAID paradigmatisch stehen, entsteht ein geopolitisches Vakuum. Deutschland und die EU sollten diese Lücke strategisch füllen und mehr Verantwortung übernehmen; sonst wird sie von Autokratien wie China und Russland besetzt. Eine große Chance, nachhaltig Demokratie, Klimaresilienz und Sicherheit in der Region zu stärken und dabei den eigenen Einflussraum auszubauen wäre damit vertan.
V. Klimadiplomatie als Instrument langfristiger und multidimensionaler Sicherheitspolitik
Eine transformative Klimaaußenpolitik muss sich nicht nur mit Instrumenten und Budgets befassen, sondern auch mit politischen und kulturellen Rahmenbedingungen, in denen sie entsteht. Dazu gehört insbesondere das außenpolitische Narrativ, das die MENA-Region bis heute vielfach als Krisen- oder Risikozone, als Fluchtursache oder Rohstoffquelle rahmt. Solche verkürzten Deutungen prägen Wahrnehmung und politische Prioritätensetzung. Zudem eröffnen geopolitische Verschiebungen und die Entstehung einer verstärkt multipolaren Ordnung neue Handlungsspielräume, aber auch Notwendigkeiten für die deutsche und europäische Politik in der Region proaktiv zu agieren.
Deutschland sollte deshalb aktiv dazu beitragen, neue, konstruktive Narrative zu etablieren, die regionale Akteure als Mitgestaltende globaler Transformation ernst nehmen, ihnen globale und Eigenverantwortung zusprechen – und sie auch daran messen. Eine klimaaußenpolitische Kommunikationsstrategie sollte auf Zusammenarbeit, Gerechtigkeit und gemeinsame Verantwortung fokussieren und den klimapolitischen Beitrag der Region sichtbarer machen. Dialogformate mit Akteuren aus Wissenschaft, Kultur, Medien und insbesondere mit jungen Initiativen vor Ort können dazu beitragen, Perspektiven aus der Region stärker einzubinden.
Die deutsche Klimadiplomatie sollte sich hierbei als zentraler Akteur zur Bildung internationaler Allianzen und als Netzwerkbauer verstehen. Dafür braucht es eine klar koordinierte Kommunikation aller Ministerien und politischer Repräsentant*innen auf internationaler Bühne. So würde Deutschland als vertrauensvoller Partner über die Dauer einzelner Legislaturperioden hinaus wahrgenommen werden. Ein zentrales Instrument hierfür ist die Beibehaltung des Klimasonderbeauftragten. Auch bei einer Neuordnung der Ressorts sollte dieses Amt eines sichtbaren und verlässlichen Hauptansprechpartners der deutschen Klimaaußenpolitik beibehalten werden.
Fazit
Klimaaußenpolitik als Sicherheitsvorsorge und Partnerschaftsangebot
Die Klimakrise verändert nicht nur Natur- und Lebensräume, sie verändert auch die Grundlagen internationaler Politik. In kaum einer Region wird das so deutlich wie in MENA, die sich durch ihre hohe Klimavulnerabilität, politische Instabilitäten, ihre Rolle als internationale Handelsdrehscheibe und geopolitische Verflechtungen auszeichnet. Wer Klimapolitik hier allein als technische Aufgabe oder entwicklungspolitisches Zusatzprojekt begreift, unterschätzt ihre sicherheitspolitische Relevanz und riskiert, zentrale Hebel für Prävention, Resilienzstärkung und Stabilisierung ungenutzt zu lassen und so destabilisierenden Akteuren Vortritt zu gewähren.
Klimaaußenpolitik kann einen substanziellen Beitrag zur Sicherheit in der MENA-Region, für den Welthandel, Europa und Deutschland leisten, wenn sie gezielt an den Schnittstellen zwischen Klimafolgen, struktureller Verwundbarkeit und geopolitischer Dynamik ansetzt. Das bedeutet konkret: mehr Förderung von Klimafolgenanpassung gerade in fragilen Staaten, gerechte Gestaltung von Kooperationen, Stärkung zivilgesellschaftlicher Handlungsspielräume, strategische Verzahnung von Klima- und Sicherheitspolitik und nicht zuletzt eine bewusste Neuausrichtung außenpolitischer Narrative, die auf Partizipation, lokale Wertschöpfung und gemeinsame Verantwortung bestehen.
Deutschland verfügt über die außenpolitischen Instrumente, die finanziellen Hebel und das diplomatische Gewicht, um diese Politik umzusetzen. Doch es braucht den politischen Willen und eine klare Strategie, Klimaaußenpolitik nicht nur als Reaktion auf Risiken zu begreifen, sondern als aktive Zusammenarbeit mit einer Region, die für die europäische und deutsche Zukunft und Sicherheit zentral ist.
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